Gesetzesreform soll mehr Wohnraum schaffen
Das Gesicht der deutschen Metropolen wird sich verändern. Die neue Kategorie des „Urbanen Gebiets“, die Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) im Rahmen der anstehenden Baugesetzreform einführen will, soll Baulücken schließen und setzt auf eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe im städtischen Siedlungsgebiet. Urbanität hieße dann „näher zusammenrücken“, so die Ministerin.
Auf der Architektur-Biennale im Mai 2016 in Venedig bekannte sich Hendricks zur “integrativen Stadtentwicklungspolitik“. Motto des Symposiums des BDA (Bund Deutscher Architekten) war “Der Umzug der Menschheit“, anspielend auf die weltweite Fluchtbewegung durch den Klimawandel. Derzeit erleben wir nur den Anfang dieser globalen Umstrukturierung, dennoch: Die Zeit drängt. In den kommenden Monaten suchen viele anerkannte Asylbewerber eine dauerhafte Bleibe auf dem schon jetzt umkämpften großstädtischen Wohnungsmarkt.
150.000 Wohnungen zu wenig
Dabei ist die bisherige NeubauBilanz eher ernüchternd: Die Allianz der Verbände der Planungs-, Bau- und Wohnungswirtschaft attestiert Deutschland einen aktuellen Bedarf von mindestens 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr. Den vom statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zum Wohnungsneubau 2015 zufolge, wurden im vergangenen Jahr jedoch nur 247.724 Wohnungen, also mehr als 150.000 Wohnungen zu wenig, gebaut.
Noch in diesem Jahr soll die neue Kategorie des „Urbanen Gebiets“ für eine Nachverdichtung sorgen, indem auf bisherigen Freiflächen (z. B. neben Schulen, Sportplätzen, Gewerbebetrieben oder an verkehrsreichen Straßen) neuer Wohnraum entstehen kann. Dann darf zum Beispiel ein Mietshaus direkt neben einem Einkaufszentrum errichtet werden.
Es wird enger und lauter
Um dieses Vorhaben zu realisieren, müssen die bislang geltenden Verordnungen, die Mindestabstände zwischen Gebäuden und die Lärmobergrenzen für Wohnsiedlungen vorschreiben, aufgeweicht werden. Auch in reinen Wohngebieten rücken die Anwohner näher zusammen: Statt bislang 40 Prozent, ist jetzt eine Bebauung von 60 Prozent der Grundstücksflächen zulässig.
Als „zumutbarer Lärm“ in urbanen Gebieten gelten dann tagsüber 63 Dezibel (dB), nachts 48 dB. Bisher waren in Kern- und Mischgebieten 60 bzw. (nachts) 45 dB, in Gewerbegebieten 65/50 dB und in Wohngebieten 50/35 dB erlaubt. (Zum Vergleich: Lautstärke einer Spülmaschine in 1 m Abstand beträgt etwa 46 dB, die Konzentrationsstörungsschwelle liegt bei 40 dB.) Die Ministerin dazu: “Wenn man in ein urbanes Gebiet zieht, dann weiß man ja, was auf einen zukommt.“
Häuser werden aufgestockt
Neuer Wohnraum soll jedoch nicht nur in der Fläche entstehen, die Häuser dürfen auch höher hinauswachsen. Die Gesamtfläche aller Geschosse darf in den Mischgebieten dann dreimal so groß sein wie das Grundstück – was bisher nur bei Blockbebauung in Innenstädten der Fall war.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) lobt die Reform und die direkte Nachbarschaft von Wohnen und Arbeit. „Gerade in Städten mit engen Wohnungsmärkten wie etwa in Frankfurt wo viele Büroflächen leer stehen, die dann als Wohnfläche genutzt werden können, erleichtert das die Nachverdichtung“, erklärt DIWForscher Claus Michelsen.
Keine weitere Zersiedelung Wenn auf Dächern und Brachflächen neue Wohnungen gebaut werden, hat dies zudem den Vorteil, dass kein weiteres Land versiegelt werden muss. Denn der zunehmende Landschafts
verbrauch durch die Zersiedelung in vielen europäischen Städten reduziert landwirtschaftliche Nutzfläche und zerstört Ökosysteme. Würden deutsche Kommunen alle Brachflächen und Baulücken nutzen (die sich auf 120.000 Hektar summieren), würde deutlich weniger Fläche auf der „grünen Wiese“ verbraucht.
Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (bmub.bund.de), Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung (bbsr.bund.de), sueddeutsche.de, stadtbaukunst.org, baulinks.de, immobilien-zeitung.de, tagesspiegel.de, Bund deutscher Architekten (bda-bund.de), nachbarrechtratgeber.de, testberichte.de.